Forderungen zum Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992

Im letzten Jahr haben wir zusammen mit Pro Bleiberecht eine Gedenkaktion zu den 29. Jahrestagen des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen organisiert. Diese Arbeit werden wir 2022 als Teil des Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“ fortsetzen. Gemeinsam mit dem Bündnis und vielen Unterstützer_innen haben wir vor einigen Wochen ein Papier mit Positionen und Forderungen zum Gedenken an das Pogrom veröffentlicht, welches wir hier dokumentieren. Ausgehend von den im Papier formulierten Inhalten wird das Bündnis „Gedenken an das Pogrom“ das 30. Gedenkjahr des Pogroms am 25. Februar 2022 beginnen, dem Jahrestag der Ermordung Mehmet Turguts durch den NSU.

Logo: Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“. Titebild: Bildwerk Rostock

Positionspapier: Gedenken an das Pogrom Lichtenhagen 1992 – Forderungen zu Gedenk- und Erinnerungskultur aus der Rostocker Zivilgesellschaft

Das 30. Gedenkjahr an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen beginnt. Seit 30 Jahren diskutieren Akteur:innen der regionalen Zivilgesellschaft über den Umgang mit diesen rassistischen und antiziganistischen Anschlägen. Dabei sammelten wir in den vergangenen Jahrzehnten vielfältige Erfahrungen über Formen des Gedenkens und der Erinnerungskultur in unserer Stadt. Daraus ergeben sich fünf zentrale Positionen und Forderungen, die aus unserer Sicht für ein verantwortungsvolles Gedenken im 30. Jahr nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen unabdingbar sind. Unsere Positionen fußen auf dem Konsens eines breiten Bündnisses, das aus vielfältigen zivilgesellschaftlichen Gruppen besteht.

Das Pogrom in Lichtenhagen ist als Symbol für die rechte und rassistische Gewalt und Asylgesetzverschärfungen der Nachwendezeit eingebunden in bundesweite Debatten und Forschungen.

Die Gedenkveranstaltungen in 2022 werden zweifelsfrei bundesweite Aufmerksamkeit erfahren, was eine ernsthafte Debatte innerhalb der Stadtgesellschaft umso wichtiger macht.

Positionen zur Gedenk- und Erinnerungskultur an das Pogrom und seinen Kontinuitäten

1. Die Angriffe in Rostock-Lichtenhagen waren ein Pogrom.

Betroffene, migrantische Verbände und Initiativen sowie zivilgesellschaftliche Akteur:innen fordern nach rechtsterroristischen Anschlägen anhaltend, dass eine klare Benennung der Taten erfolgt:

als Anschläge, Pogrome, Mordversuche und Morde. Angesichts der Kontinuitäten der rechten Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik, von Rostock-Lichtenhagen bis Hanau, muss ein verantwortungsvolles Gedenken diese Forderung aufnehmen und so keinerlei Spielraum zur Relativierung lassen.

2. Die Perspektiven von Betroffenen stehen an erster Stelle.

Bisher hat das Gedenken an Rostock-Lichtenhagen Täter:innen, Verantwortliche in Stadt, Land und Gesellschaft sowie weitere Akteur:innen thematisiert. Dies war und ist ohne Zweifel wichtig.

Wir müssen uns dem Pogrom aber auch aus der Perspektive der Betroffenen nähern: der angegriffenen Geflüchteten in der ZASt und den ehemaligen Vertragsarbeitenden aus Vietnam.

Wir stehen für eine Gedenkkultur, die langfristige Solidarität und Unterstützung von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt an die erste Stelle rückt. Das heißt, ihre Perspektiven wahrzunehmen, sichtbar und hörbar zu machen. Dazu gehört auch, dass die Frage nach konkreter Verantwortung und die Sichtbarmachung von Verantwortlichen weiterhin wichtige Aspekte des Gedenkens bleiben.

3. Lichtenhagen war und ist kein Einzelfall.

Ein Blick in Statistiken und Chroniken rechter Gewalt in der Bundesrepublik und der DDR zeigt deutliche Kontinuitäten seit 1945 auf. Verantwortungsvolles Gedenken heißt für uns auch, anzuerkennen, dass Rassismus und andere Diskriminierungsformen ein strukturelles Problem sind und als Solches bekämpft werden müssen. Die Gewalt in Lichtenhagen wurde von tausenden Menschen beklatscht und unterstützt. Sie war Ausdruck eines gesellschaftlichen Rassismus und Antiziganismus, die die deutsche Gesellschaft bis heute prägen und weiter Todesopfer fordern. Verantwortungsvolles Gedenken heißt anzuerkennen, dass institutioneller Rassismus ein Problem ist und in direkter Wechselwirkung mit rechter Gewalt und rassistischer und antiziganistischer Berichterstattung steht. Im Kontext der Pogrome stehen die rassistischen Hetzreden von politisch Verantwortlichen in den 80er Jahren und die Asylgesetzverschärfungen der 90er Jahre. Sie verankern bis heute Abschottung, Ausgrenzung und psychische Gewalt gegen Asylsuchende institutionell und müssen überwunden werden. Symbolisch hierfür steht in Mecklenburg-Vorpommern das Aufnahmelager Nostorf-Horst, das der ZAST in Lichtenhagen folgte und gemäß der damaligen Asylgesetzverschärfungen konzipiert wurde.

4. Verstetigung und Nachhaltigkeit statt Symbolpolitik.

Wir fordern und unterstützen eine Verstetigung und langfristige Absicherung von Forschung, Aufarbeitung, Bildungsarbeit und Gedenken zum Pogrom in Lichtenhagen und darauf folgenden Ausgrenzungen und Gewalthandlungen. Es braucht eine Stärkung, langfristige Absicherung und Erweiterung vorhandener Initiativen und kommunaler Bemühungen mit Orientierung auf Nachhaltigkeit. In diesem Sinne plädieren wir dafür, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft einen mit Ressourcen unterlegten Prozess hin zu einem Gedenkkonzept zu gestalten, das Forschung, Bildung, Gedenken und die öffentliche Auseinandersetzung mit der jüngeren städtischen Geschichte motiviert und verbindlich festlegt. Inhalte eines solchen Konzeptes könnten bspw. die Aufnahme des Themas in Curricula von Schulen oder ein virtuelles oder physisches Gedenkzentrum sein. Dies würde nicht nur für die vielfältige Rostocker Gesellschaft Bezugspunkte bilden, sondern wäre auch über die Region hinaus ein Leuchtturm-Projekt zur Transformation nach 1990.

5. Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Im Moment werden zivilgesellschaftliche Erfahrungen, Expertisen und Sichtweisen bei der städtischen Planung des Gedenkens nicht genügend berücksichtigt. Deswegen werden wir dieses Gedenkjahr nutzen, um die städtische Erinnerungskultur mit unseren Impulsen zu begleiten. Eine partizipative und inklusive Gedenkkultur, sowie eine Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und städtischen Institutionen auf Augenhöhe, bedeuten für uns eine transparente und möglichst frühe Informations-weitergabe, eine Einbindung in Entscheidungsprozesse und eine Einbeziehung der vorhandenen Expertise und Netzwerke. Auch mit Blick auf zukünftiges Gedenken sehen wir hier noch viel Potenzial. Für den Verlauf des Jahres werden wir eine grundlegende Debatte über die Prinzipien, Ziele und Inhalte der Gedenkkultur rund um das Pogrom in Lichtenhagen führen müssen:

Was will Rostock in diesem Jahr wie und mit welchem Ziel erzählen?

In diesem Sinne starten wir in ein verantwortungsvolles, konstruktives, solidarisches Gedenkjahr 2022.

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